Hier teile ich mit euch einige Abschnitte aus einer Arbeit, die ich für IGW (www.igw.edu) geschrieben habe:
Die Bibel ist speziell: Sie ist das bekannteste und weitverbreitetste Buch der Weltliteratur – dabei ist sie eher eine Bibliothek von Büchern als ein Buch: eine Bibliothek die Schriften über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren beinhaltet (Schmid 2021:7). Für mich ist sie «normative Grundlage zur Erkenntnis Gottes» (igw.edu «13 Thesen zur missionalen Hermeneutik»). Zudem ist und enthält die Bibel für mich Wort Gottes – wie ich das verstehe werden ich auf den folgenden Seiten darlegen.
Wozu ist die Bibel da?
Hier gehe ich mit der orthodoxen Tradition einig: Die Bibel will uns in eine Begegnung mit dem lebendigen Gott führen, uns sein Reden vernehmen lassen und uns in Bewegung setzen (Luz 2014:77). Die Bibel ist nicht einfach ein Regelbuch – sie ist ein (antikes) Narrativ und vermitteln eine «Story» – in dieser leben wir (irgendwo zwischen Apostelgeschichte und dem Ende der Offenbarung) und diese soll von uns erkannt und weitergeführt werden (Wright 2018b:280ff). Das Ziel dieser «Story» ist die Erlösung der Schöpfung. Die Bibel in sich ist also nicht das Ziel – das Ziel ist durch sie Gott zu verherrlichen und die Schöpfung zu heilen (Wright 2016). In dem Sinne kann ich Sondheimer (2017:5) beipflichten: Die Bibel offenbart uns Menschen Gott und dient uns als ewige Hilfe und Richtschnur.
Die Bedeutung der Kanonisierung
«Die Bücher der Bibel wurden nicht als Bücher der Bibel geschrieben», so Schmid (2021:12) – sie «wurden erst im Laufe der Zeit ‘biblisch’». Durch die Kanonisierung wurde der Umfang der inspirierten Schrift mit einer verbindlichen Liste der biblischen Bücher festgelegt (Maier 2020:126). Die Kanonisierung des Neuen Testaments macht die Bibel also zum Buch der Kirche (Luz 2014:461). Dabei sollten die biblischen Texte als Teil des kirchlichen Kanons interpretiert werden – also im Bewusstsein, dass sie zu einem grösseren Ganzen gehören (Luz 2014:19).
Die Beziehung vom Alten- und Neuem Testament
Die Schriften des «Alten Testaments» wurden zu den Grundtexten für das Neue Testament (Luz 2014:454), waren für viele der ersten Christen das einzige Buch, das sie kannten und waren ihre Bibel (:414f). «Das Neue Testament ersetzt nicht das Alte, es baut darauf auf» (Sondheimer 2017:17). Dabei bilden die Schriften des Alten- und Neuen Testaments eine grundsätzliche Einheit, weil: a) derselbe Geist sie inspiriert hat, b) sie auf denselben Gott hinweist und c) dieselbe Geschichte darin sichtbar wird (Maier 2020:163f). Dabei lesen wir das Alte Testament im Licht des Neuen Testaments. Dies aus einer christologischen Begründung: Jesus als lebendiger Gottessohn hat eine höhere Autorität als die Schrift und somit haben wir die Fülle an Gotteserkenntnis erst mit ihm im Neuen Testament (:150).
Die Beziehung zwischen Menschen- und Gottes Wort
Die Bibel wurde von Menschen geschrieben. Sie selbst beansprucht nirgends eine unmittelbare göttliche Autorschaft (Schmid 2021:16). Das Wesen der Bibel ist dem Wesen Jesu also ähnlich: menschlich und göttlich zugleich. Sie besitzt ein zweifaches Wesen: eine ewige Relevanz (weil sie von Gottes Geist inspiriert ist) und eine historische Eigenart (weil sie von Menschen in spezifischen Kontexten geschrieben wurde) (Fee & Stuart 2021:20f). Kurz: Sie wurde von Menschen geschrieben, ist aber inspiriert vom Geist Gottes (Sondheimer 2020:5ff). Der Heilige Geist hat «normale» Menschen mit «normaler» Sprache dazu inspiriert, von Gott her zu reden (vgl. 2 Tim 3,16 und 2 Petr 1,21) (Maier 2020:83f). Wie weit reicht aber die Inspiration? Wenger (2016:139) schreibt zu Ganzinspiration: «die Autoren sind in ihrem Gedankenfluss und ihren Formulierungen – nicht aber im Sinne eines charakter- und willenlosen Mediums (Schreibstifts)! – von Gott inspiriert» und «Das NT ist und enthält Gottes Wort, aber dies eben in menschlicher Gestalt» somit folgt: «das NT ist absolut verlässlich und im Blick auf seine von Gott her (!) intendierte Zielsetzung vollkommen, aber das schliesst Fehler, Irrtümer und Widersprüche ihrer menschlichen Autoren nicht zwingend aus».
Die Voraussetzung, um die Bibel zu verstehen
Luz (2014:532) sieht richtig, dass die Voraussetzung für historisches Forschen und Interpretieren der Texte nur im konsequenten Willen der Interpreten besteht, «die Texte das ihre sagen zu lassen» – somit können auch Atheisten in einen Dialog mit den Texten treten. In der Bibel forschen und Wissen ansammeln kann man, ohne vom Geist Gottes erfüllt oder angesprochen zu sein. Ein ausreichendes und ganzheitliches Verständnis ist aber ohne den Heiligen Geist und ohne Glauben nicht möglich (Maier 2020:40). Keener (2016:41) macht deutlich, wie wir (nur) durch den Geist Gottes in der Bibel das fleischgewordene Wort erleben können. Wenn wir das als Grundsatz nehmen, müssen wir aber anmerken, dass der Geist Gottes jeden ansprechen kann – ganz unabhängig von seinem Glauben. Natürlich ist der Wille, sich von Gott ansprechen lassen zu wollen, ein wichtiger Faktor, um die Bibel ganzheitlich zu verstehen (Sondheimer 2017:8). Um von Gott durch die Texte angesprochen zu werden und ganzheitlich Erkenntnis zu erlangen – als Atheist oder gläubige Person – braucht es aber in jedem Fall das Wirken von Gottes Geist (Sondheimer 2017:6).
Die Wahrheit und die Autorität der Bibel
«Zu behaupten, dass die Bibel wahr ist, bedeutet, darauf zu vertrauen, dass der von ihr bezeugte Gott sich auch in unserem Leben (in the long run) als verlässlich und treu erweisen wird» (Wenk 2020:7). Die Wahrheit (und Autorität) der Bibel gründet sich darauf, dass sich der Gott der Bibel als treu erweist – nicht darin, dass jedes kleine Detail mit den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang steht. Die Bibel eignet sich nicht dafür, wissenschaftliche Theorien aus ihr abzuleiten. Sie beschränkt sich auf Beschreibungen und Beobachtungen – und das in antiker Sprache (Ramm 2011:221ff). Für die Bibel fokussiert sich die Autorität auf den Gott der Bibel und nicht auf die Bibel selbst – und die Autorität Gottes (und damit auch der Bibel) ist dazu da, Menschen zu befreien, das Böse zu richten, damit wir «fully human» sein können (Wright 2016). Durch die Bibel Gott als Autorität in meinem Leben zu haben, bedeutet für mich: Wenn eine Bibelstelle für mich nicht verständlich ist, gehe ich davon aus, dass der Fehler nicht in der Schrift liegt, sondern in der Begrenztheit meines Verstehens – denn unser Verstehen ist immer Stückwerk. Mein Verstand ist nicht letzte Richtschnur, die inspirierte Schrift ist es. Dies erkenne und erlebe ich in dem Masse, wie sich die Aussagen der Bibel in meinem Leben als wahr erweisen (Sondheimer 2022:124f). Auch ist es so, dass Jesus die Schrift als letzte Entscheidungsinstanz behandelte und später die Schreiber des Neuen Testaments die Schriften des Alten Testaments als Reden Gottes betrachteten. Dies in dem Masse, dass die Wendung «Gott sagt» und «Die Schrift sagt» austauschbar verwendet wurden (Maier 2020:149ff).
LITERATURVERZEICHNIS
Fee, Gordon D. & Stuart, Douglas 2010. Effektives Bibelstudium: Die Bibel verstehen und auslegen. Giessen: Brunnen Verlag.
Keener, Craig S. 2016. Spirit Hermeneutics: Reading Scripture in Light of Pentecost. Michigan: Eerdmans.
Luz, Ulrich 2014. Theologische Hermeneutik des Neuen Testaments. Neukirchen-Vluyn: Neukircher Verlagsgesellschaft.
Maier, Gerhard 2020. Biblische Hermeneutik. Holzgerlingen: SCM R.Brockhaus.
Ramm, Bernard 2011. Biblische Hermeneutik. Asslar-Berghausen: ICI.
Schmid, Konrad 2021. Die Bibel: Entstehung, Geschichte, Auslegung. München: Verlag C.H.Beck.
Sondheimer, Florian 2017. Was wir glauben: Kommentar zu den Glaubensgrundsätzen der Schweizerischen Pfingstmission. Oftringen: Dynamisverlag.
Sondheimer, Florian 2022. Damit rauskommt, was drinsteckt: Leitlinien für die Bibelauslegung – hermeneutische Wegleitung zur Exegese. Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft..
Wenger, Stefan 2016. Die Welt des Neuen Testaments. Eine allgemeinverständliche Einführung. Norderstedt: GRIN.
Wenk, Philipp. 2020. Hermeneutik: Die Bibel missional verstehen.
Wright, N.T. 2016. How can the Bible be Authoritative. Ntwrightpage.com. Online im Internet: https://ntwrightpage.com/2016/07/12/how-can-the-bible-be-authoritative/ [21.06.2022]
Wright, N.T. 2018b. Surprised by Hope: Rethinking Heaven, the Resurrection, and the Mission of the Church. New York: HarperCollins Publishers.
13 Thesen zur missionalen Hermeneutik. Igw.edu. Online im Internet: https://www.igw.edu/ch/ressourcen/downloads/publikationen/13_Thesen_Missionale_Hermeneutik.php [21.06.2022]