Die postmoderne Beliebigkeit provoziert (hier kannst du den letzen Post zu diesem Thema lesen). Man muss sich nicht lange mir der Bibel befassen, um herauszufinden, dass ihre Verkündigung nicht beliebig ist; hier erleben wir einen Kontrast zu postmodernem Denken. Der christliche Glaube setzt die eine Wahrheit voraus – vielleicht aber nicht in der Weise, wie wir denken. Dazu später mehr.
Wahrheit und Vielfalt
Eine Bibel, die alles bedeutet, ist eine Bibel, die nichts bedeutet und eine offene Gesellschaft brauche keine Kirche, die für Offenheit steht – so das markige Statement von Luz[1]. Postmoderne Beliebigkeit steht im Kontrast zum Wahrheitsanspruch der biblischen Texte: «Der Wahrheitsanspruch der neutestamentlichen Verkündigung ist universal. Die Möglichkeit einer unbegrenzten Vielfalt von Interpretationsmöglichkeiten – je nach Vorliebe eines einzelnen Bibellesers […] – steht in einem frappanten Widerspruch zu diesem Wahrheitsanspruch und führt ihn ad absurdum. Auf der anderen Seite aber sind Freiheit, Pluralität und individuelle Identität nicht nur wesentliche Grundpostulate der Moderne, sondern ebenso sehr wesentliche Grundmomente des Evangeliums.»[2]
Genau dieses Dilemma fasziniert mich: Das Evangelium ist vielfältig und individuell – und doch konfrontiert es uns mit einem universalen Wahrheitsanspruch.
Für Jesus, wie für die neutestamentliche Verkündigung im Allgemeinen, war klar: Es gibt die Wahrheit. «Jesus zuhören – das führte nie in die Beliebigkeit hinein.»[3] Amen dazu! Hier müssen wir aber unterscheiden: Beliebigkeit und Vielfalt sind nicht dasselbe. Das Evangelium ist nicht beliebig, wohl aber vielfältig – finden wir doch z.B. im Kanon der Bibel vier verschieden, vielfältige Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes (nicht ein synchronisiertes)[4]. Das gilt es anzuerkennen.
Wahrheit als Person
Diese Wahrheit, die uns in der neutestamentlichen Verkündigung begegnet, ist keine Lehre oder Glaubenssatz, die man auswendig lernen könnte, sondern – erstaunlicher Weise! – eine Person: Jesus Christus selbst.
«Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.» Johannes 14,6
Wenn es die Wahrheit gibt und sie in der Person von Jesus Christus zu finden ist, folgt daraus logisch: wir besitzen die Wahrheit nicht, wir haben sie nicht unter Kontrolle und wir sind dann mit der Wahrheit auch nicht identisch. Wir können nur von ihr zeugen, von ihr reden und auf sie zeigen – und das immer in unvollkommener Weise. Wir können die Wahrheit nicht auswendig lernen, wir könne ihr aber begegnen – bzw. kann die Wahrheit uns begegnen.
Wahrheit als Begegnung
Wahrheit findet in der Begegnung statt, so Brunner in Wahrheit als Begegnung: «Gott soll in dieser seiner Beziehung zum Menschen erkannt werden, und ebenso soll der Mensch sich selbst in dieser seiner Beziehung zu Gott erkennen.»[5] Wir haben die Wahrheit nicht, sie ist uns nicht verfügbar. Alles, was wir tun können, ist auf Jesus zu verweisen, der uns begegnet ist, denn Er ist die Wahrheit. Der Gegensatz von objektiver Wahrheit (in Form nachweisbarer Fakten) und subjektiver Wahrheit (in Form rein persönlicher Erfahrungen) ist der Bibel sowieso eine fremde Denkkategorie [6] – vielmehr handelt die Bibel von einer Wahrheit, die in Beziehung geschieht und personhaft ist[7]. «Die Wahrheit als Begegnung aber meint den Gott, der uns in der Bibel, vor allem in der Geschichte Jesu Christi anredet.»[8]
Die Wahrheit beruht aus biblischer Sicht also weder auf nachweisbaren Fakten, noch auf subjektiven, persönlichen Erfahrungen – viel mehr findet sie da statt, wo uns Jesus Christus anredet. Das konfrontiert postmodernes Denken, denn die Wahrheit ist hier nicht beliebig. Jedoch bietet es auch einen Anknüpfungspunkt, denn die Wahrheit kann erlebt werden – sie kann also zu meiner Erfahrung werden.
Fazit
Jesus Christus machte kein Geheimnis daraus, dass er an die Wahrheit glaubt – ja, er sich sogar als die Wahrheit präsentiert (vgl. Johannes 14,6)! Jesus Christus, der von sich sagt, dass er die Wahrheit ist, kann und will uns begegnen und uns anreden. Wir besitzen dann die Wahrheit nicht – wir sind dann aber Verbunden mit dem Ursprung, mit der Wahrheit, mit Gott, auf den wir zeigen können; so wie ein Bettler, der dem anderen zeigt, wo er etwas zu essen bekommen kann (wie Hempelmann zu sagen pflegt). Wenn es um die Wahrheit geht – und aus christlicher Sicht geht um sie –, müssen wir über uns selbst hinaus auf Gott verweisen[9]. Nie sind oder haben wir die Wahrheit selbst. Genau das werden wir im kommenden Blogpost etwas genauer ausbuchstabieren.
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Literatur
[1] Luz, Ulrich 2014. Theologische Hermeneutik des Neuen Testaments. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. S. 9f
[2] Luz, Ulrich 2014. Theologische Hermeneutik des Neuen Testaments. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. S. 10
[3] Hempelmann, Heinzpeter 2008. „Was sind denn diese Kirchen noch …?“: Christlicher Wahrheitsanspruch vor den Provokationen der Postmoderne. 2. Aufl. Wuppertal: SCM, Brockhaus. S. 123
[4] Luz, Ulrich 2014. Theologische Hermeneutik des Neuen Testaments. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. S. 460ff
[5] Brunner, Emil 1963. Wahrheit als Begegnung. 2. Auflage Zurich: Zwingli Verlag. S. 90
[6] Brunner, Emil 1963. Wahrheit als Begegnung. 2. Auflage Zurich: Zwingli Verlag. S. 86
[7] Brunner, Emil 1963. Wahrheit als Begegnung. 2. Auflage Zurich: Zwingli Verlag. S. 88f
[8] Brunner, Emil 1963. Wahrheit als Begegnung. 2. Auflage Zurich: Zwingli Verlag. S. 52
[9] Hempelmann, Heinzpeter 2008. „Was sind denn diese Kirchen noch …?“: Christlicher Wahrheitsanspruch vor den Provokationen der Postmoderne. 2. Aufl. Wuppertal: SCM, Brockhaus. S. 57
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